Herrschaft kommunizieren. Versammlung und Beratung im Früh- und Hochmittelalter

Herrschaft kommunizieren. Versammlung und Beratung im Früh- und Hochmittelalter

Organisatoren
Matthias Becher / Christine Beyer / Luise Margarete Jansen / Philipp Merkel, DFG-Projekt „Stützen der Königsherrschaft. Königinnen und Mittelgewalten im ostfränkisch-deutschen Reich (9. bis Anfang des 12. Jahrhunderts)
Förderer
Macht und Herrschaft. Bonner Zentrum für vormoderne Ordnungen und ihre Kommunikationsformen / Deutsche Forschungsgemeinschaft
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
07.09.2023 - 09.09.2023
Von
Luise Margarete Jansen / Hannah Schmidt, Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Kommunikation dient stets dem zwischenmenschlichen Austausch von Ideen, Informationen und Meinungen. Dabei ist es nachrangig, ob der Austausch verbal oder nonverbal erfolgt. Im ostfränkisch-deutschen Reich des Früh- und Hochmittelalters konnte Kommunikation nur gelingen, wenn ein stetiger Austausch stattfand; die Verständigung der Eliten mit dem Herrscher kann jedoch nicht losgelöst von der Kommunikation mit anderen Eliten betrachtet werden. Die Fragen danach, wie sich das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis von oberstem Herrschaftsträger und seinen Eliten gestaltete und über welche Möglichkeiten der Partizipation weltliche und geistliche Mittelgewalten – definiert als jene Personen, die Zugang zum Herrscher erhalten konnten – verfügten, standen im Mittelpunkt der Tagung.

Nach der Begrüßung und Einführung durch Ulrike Münch und Matthias Becher (beide Bonn) stellte CHARLES WEST (Edinburgh) neue Überlegungen zu Hinkmar von Reims’ De Ordine Palatii vor. Im Jahr 882 vom Reimser Erzbischof für König Karlmann verfasst, reiht sich die Schrift ein in eine Reihe von belehrenden Schriften, die im 9. Jahrhundert von Klerikern für Könige verfasst wurden. Trotz der schlechten Überlieferungslage wurden sie in der Forschung mannigfaltig und aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert. Ein Hinweis darauf, wieso Hinkmar seinen Text ausgerechnet 882 schrieb, könnte sich in seiner Angabe finden, er habe ihn für Karlmann verfasst, den rex modernus noster. West merkte an, dass De Ordine Palatii ein idealisierter, jedoch keinesfalls fiktiver Text sei, basierend auf einem um 800 geschriebenen und in den 820ern von Hinkmar kopierten Werk Adalhards von Corbie, aus dem Hinkmar etwa für ihn selbst unübliches Vokabular übernahm. In der Zeit zwischen den 820ern und 882 rekurrierte Hinkmar jedoch nicht auf Adalhard, wenn er den König beriet. Dies mag daran gelegen haben, dass Adalhards Werk für Höflinge strukturiert war, zu denen Hinkmar nicht gehörte. Kurz nach der Fertigstellung von De Ordine Palatii starb Hinkmar mit weit über 70 Jahren; West vermutete daher, dass die Schrift als eine Art Vermächtnis gedacht war. Die Motivation zum letzten Werk habe weniger in dem Versuch gelegen, sich ein letztes Mal im Zentrum der Macht zu positionieren, als vielmehr in der Absicht, dem jungen König einen letzten Rat zu geben, sich bessere Berater zu suchen. Der rex modernus werde zum Zwecke der Periodisierung als solcher bezeichnet und abgegrenzt von den antiqui reges vergangener goldener Zeiten. Ein neuer Ratgeber basierend auf einem alten Werk sollte alte Lösungen für neue Probleme finden.

Darauffolgend fragte SIMON GROTH (Bonn/Magdeburg) nach Genese und Nutzung des Konzepts der sogenannten Reichsaristokratie. Auf den Schöpfer des Begriffs, Gerd Tellenbach, wurde in den 1930er Jahren und in der Nachkriegszeit eindeutig als Urheber rekurriert. Doch die Verwendung nahm stetig ab, und auch wenn sich eine Nennung des Konzepts vereinzelt in der aktuellen Literatur wie etwa in der neuesten Auflage des „Gebhardt“ findet, so wird nicht mehr auf Tellenbach verwiesen. Eine Auseinandersetzung mit dessen Werk wurde hauptsächlich von seinen Schülern wie etwa Hagen Keller geleistet, doch auch hier findet sich die sogenannte Reichsaristokratie nur anekdotisch. Tellenbachs ursprüngliche Ausarbeitungen sind von knappem Umfang und identifizieren eine Gruppe weltlicher Großer, die eine oberste „Adels-Schicht“ bildeten, deren Zusammenhang und Wesen jedoch beinahe unbekannt seien. Für die Zeit zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert listet er 111 Männer auf, die über die von ihm ausgemachten drei Merkmale Vornehmheit, Reichtum und Macht verfügten. Kategorische Einwände wurden von Martin Lintzel vorgebracht. Tellenbach reagierte dünnhäutig auf die Kritik, verzichtete aber selbst schnell auf die Verwendung seines Begriffs. Auch die Reflexion über den erst kürzlich untergegangenen Führerstaat könnte ihn von einer weiteren Beschäftigung mit dem Begriff abgebracht haben. Die nach wie vor zurückhaltende oder unkommentierte Verwendung als Schlüsselvokabel zeigt zudem eher das Desiderat eines besseren Begriffs auf. Für Groth ist die zentrale Frage nicht, wer die sogenannte Reichsaristokratie war, sondern wie Forschende mittelalterliche Herrschaft beschreiben.

CASPAR EHLERS (Frankfurt am Main) präsentierte Daten und Statistiken zur weiblichen Unterstützung karolingischer und ottonischer Klöster in Sachsen. Klostergründungen durch die königliche Familie stellten nur einen kleinen Teil dar, überwiegend seien andere Gründergruppen wie Adelsfamilien und adelige Geistliche auszumachen. Insgesamt sei die Überlieferungslage jedoch dünn, weswegen die Gruppe der nicht nachzuweisenden Gründer am größten sei. Das Königtum habe Klöster vorwiegend materiell gefördert und unter seinen Schutz gestellt. Von 137 Gründungen in Sachsen zwischen dem 8. Jahrhundert und dem Jahr 1024 entfallen 61 auf Frauen- und 76 auf Männerkonvente, abzüglich der immer für Männer eingerichteten Domstifte. Insgesamt wurde der sächsische Raum von Konventen beiderlei Geschlechts gleichermaßen erschlossen, ebenfalls gründeten sämtliche identifizierte Gruppen Einrichtungen für Frauen. Weiterhin waren Frauen explizit und signifikant an Gründungen beteiligt. Ehepaare zählte Ehlers zu weiblichen Stiftungen mit der Gemahlin als sinnstiftende Person und dem Gemahl als in rechtlicher Funktion Agierendem. Von 137 Konventen überliefern 57 Interventionen – davon 27 von Königinnen –, 80 überliefern keinerlei Interventionen. Die Förderung der Frauenklöster unterscheide sich nicht von derjenigen für Männerklöster; jedoch wies Ehlers darauf hin, dass vermutlich beim Umfang der jeweiligen Ausstattung mit starken Unterschieden zu rechnen sei. Zudem wiesen die überlieferten Urkunden ein Nord-Süd-Gefälle auf. Auch abseits des Überlieferungszufalls könne gezeigt werden, dass die Gründung der Frauenkonvente in Sachsen früh einsetzte und in der Mitte des 9. Jahrhunderts eine erste und einhundert Jahre später eine zweite Aufschwungphase erlebte. Jedes gegründete Frauenstift sei nicht nur ein Machtfaktor für die jeweilige Familie, sondern auch ein relevanter Teil für die Ausbreitung einer gewissen Kultur innerhalb Sachsens. Dass Sachsens Norden weniger durchdrungen war, habe geomorphologische Gründe.

ALENA REEB (Magdeburg) stellte die beiden ottonischen Königsschwestern Sophia und Adelheid vor. Als Töchter Ottos II. wurden sie jung in die Abteien von Gandersheim resp. Essen zur Erziehung gegeben, also denjenigen Institutionen anvertraut, die mit der liudolfingischen Familie verbunden und für deren Memoria verantwortlich waren. Vor dem Hintergrund des sogenannten Gandersheimer Streits verwundert die negative und kritische Betrachtung Sophias durch Hildesheimer Quellen wenig, insbesondere, da sie mehrfach mit Erzbischof Willigis von Mainz in Konflikt geraten war. Die negative Färbung der berichtenden Bischofsviten, die ihr etwa Bestechlichkeit vorwarfen, beeinflusste auch die Forschung, obwohl alle anderen Quellen Sophia entweder neutral oder positiv gegenüberstanden. Das abrupte Ende ihrer Zeit am Hof im Umfeld ihres Bruders deutet darauf hin, dass ihr weltliches Verhalten auf Befremden stieß. Im Gegensatz zu ihrer Schwester schien sich Adelheid konstanter, aber weniger häufig und mit weniger Herrschaftsteilhabe an Ottos Seite befunden zu haben. Nach dem Tod Ottos III. waren die Schwestern explizit in die Beratungen zur Nachfolgeregelung involviert: Sophia erhielt vermutlich im Gegenzug für die Unterstützung Heinrichs II. die Nachfolge als Äbtissin in Gandersheim. Nach der Wahl Konrads II. nahmen die Schwestern in Vreden, das Äbtissin Adelheid unterstand, eine Einholung des Herrscherpaares vor. Dass sie gewissermaßen als Vorabdelegation der sächsischen Großen fungierten, zeigt erneut die Bedeutung der beiden Schwestern. Den nächsten Herrscherwechsel 1039 erlebte nur noch Adelheid, da Sophia bereits zu Beginn des Jahres verstorben war. Heinrich III. willigte – möglicherweise ähnlich der Absprache zwischen Sophia und Heinrich II. – in die Gandersheimer Entscheidung ein, Adelheid zu ihrer Nachfolgerin zu machen. Beide Frauen wurden sowohl in zeitgenössischen Quellen als auch in der Forschungsliteratur mit Beschreibungen wie „Kaisertöchter“, „Königsmacherinnen“, „lebensfroh“, „ränkesüchtig“, „herrschsüchtig“, „geldgierig/bestechlich“ bedacht, wobei die negativen ausschließlich Sophia galten; unbestritten ist, dass Adelheid und Sophia in bemerkenswerter Weise an der Herrschaft teilhatten und innerhalb der sächsischen Großen ein hohes Ansehen genossen.

Im öffentlichen Abendvortrag skizzierte STEPHAN FREUND (Magdeburg) anhand des Konfliktes um die Einrichtung des Erzbistums Magdeburg, der Aufwertung der Halberstädter Kirche und der mehrfach aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Heinrich II. und Bolesław I Chrobry Beispiele für das Zusammenspiel von König und Eliten im Konfliktfall. Während Erzbischof Wilhelm von Mainz, unehelicher Sohn Ottos I., 955 bei Papst Agapit II. gegen die Aufwertung Halberstadts zum Erzbistum und den anschließenden Transfer nach Magdeburg durch seinen Vater protestierte, hatte Otto das Vorhaben 961 derart modifiziert, dass Wilhelm wieder in die königliche Huld aufgenommen werden konnte. Bischof Bernward von Halberstadt hingegen war erst kompromissbereit, als sein neugegründetes Kloster Wallhausen 961 die Immunität verliehen bekam. Diese erhielt es jedoch nicht von Otto I., sondern von dessen Sohn. Hiermit entsprach Otto Bernwards Bitte, vermied aber den Eindruck zu großer Nachgiebigkeit. Das zweite Beispiel illustrierte Bruch und Versöhnung der Liudolfinger und der Familie Bischof Hildewards von Halberstadt, dessen Vater Erich 941 in ein gegen Otto I. gerichtetes Mordkomplott verwickelt und dafür hingerichtet worden war. Sühneleistungen und zähe Verhandlungen bestimmten die kommenden Jahre, bis die Versöhnung der Familien mit der groß zelebrierten Weihe des Halberstädter Doms 992 ihren Höhepunkt erreichte. Freunds abschließendes Beispiel behandelte Heinrich II. und Bolesław I Chrobry. Heinrichs Herrschaftsantritt brachte eine Zäsur in den ostfränkisch-deutschen Beziehungen nach Osten und führte zu ersten militärischen Spannungen. Nach der Merseburger Nachwahl Heinrichs II. eskalierte der Konflikt schnell, unter anderem, weil der König vor seiner Krönung gemachte Zusagen nicht einhielt. Mehrmals wurden Beilegungen der kriegerischen Auseinandersetzungen unternommen, zunächst in Abwesenheit Bolesławs 1005, dann unter dem Eindruck weiterer Konfliktschauplätze 1013, und zuletzt 1018, als alle Protagonisten der Kämpfe überdrüssig waren. Alle drei Exempel weisen Ähnlichkeiten darin auf, dass Kompromisse gefunden werden mussten, die es allen Teilnehmenden trotz komplizierter Umstände ermöglichten, ihr Gesicht zu wahren. Die ersten beiden Beispiele zeigen austarierte Lösungen, die längerfristig Frieden brachten; das dritte Exempel hingegen demonstriert mühsame Verhandlungen, die den Keim des Zwistes nicht beseitigen konnten, da die Unterordnung des jeweils anderen das eigentliche Ziel war.

Die Vorbereitung von Bischofsinvestituren im Kontext herrscherlicher Kommunikation diskutierte LUDGER KÖRNTGEN (Mainz). Thietmar von Merseburgs Bericht über seine eigene Bischofserhebung beschreibt detailliert, welche Akteure im Vorfeld der offiziellen Wahl und Weihe an entsprechenden Verhandlungen teilgenommen hatten. Die Entscheidung des Königs präsentiert sich als Ergebnis von Kommunikation auf verschiedenen Ebenen; der ganze Prozess zog sich über den Zeitraum von Weihnachten 1008 bis zum 20. April 1009 hin und fand unter anderem in Pöhlde, Magdeburg und Frankfurt statt. Die Erhebung Taginos von Magdeburg 1004 hingegen war Thietmar zufolge ein Vorgang, zu dem der König mit einem klaren Personalprogramm auftrat. Da er sich offenbar wesentlich entschiedener durchsetzte, war auch der Zeitrahmen kürzer: Nach den Verhandlungen vom 25. bis zum 30. Januar fand am 2. Februar die Bischofsweihe statt. Thietmar, der stets das Wahlrecht in Konfrontation mit dem Königsrecht thematisierte, trat dabei nicht nur als Chronist auf, sondern auch als beteiligter Akteur, der vorhandenen Dissens zu Protokoll gab, möglicherweise aber neben dem Dissens auch den Konsens überspitzte. Zudem könnten die von ihm geschilderten teils konfrontativen Positionen nicht real an den König gerichtet gewesen sein, sondern den Protagonisten zur internen Reflexion und Rückversicherung gedient haben. Die Weiterführung der Kommunikation in der Chronik ermöglichte es Thietmar zudem, die Ergebnisse in seinem Sinne zu deuten und zu akzeptieren. Körntgen resümierte, dass nicht das Verhandlungsergebnis, sondern überhaupt die Einbindung in die Kommunikation eine Form von Konsens darstelle. Die Frage sei darum eher, ob von konsensualer oder kommunikativer Herrschaft gesprochen werden sollte.

CHRISTOPH MIELZAREK (Magdeburg) zeichnete schlaglichtartig die Entwicklung Quedlinburgs zwischen 922 und 1138 nach. Ostermontag 922 stellte den Auftakt der liudolfingischen Tradition der Aufenthalte zu Ostern und anderen hohen Feiertagen in Quedlinburg dar. Heinrichs I. Entscheidung, die Pfalz zu seiner Grablege zu bestimmen, machte den Ort zusätzlich zu einem Memorialzentrum, dessen Frauenstift die crème de la crème des sächsischen Adels ausbildete. Da die Kanonissen Kontakt zu ihren Familien hielten, trugen sie das Handeln des Herrschers zum sächsischen Adel hinaus. Auch der adventus, der ordnungsgemäße Einzug in die Stadt, diente als Kommunikationsform, die vor allem Eingang in die Historiographie fand, wenn von ihr abgewichen wurde – ein prominentes Beispiel stellt etwa der gescheiterte Einzug Heinrichs des Zänkers zu Ostern 984 dar. Als Ort symbolischer Kommunikation zwischen dem Königtum und den Sachsen waren Bedeutung und Funktion Quedlinburgs jedoch nicht statisch, sondern einem Wandel unterworfen. Kommuniziert wurden nicht nur die Herrschaftswelt, die Sakralität und der Führungsanspruch des Herrschers, sondern auch Stimmungsbilder der Großen. Während Konrad III. sich etwa selbstreferentiell auf Quedlinburg als Ort der Macht bezog, stellte das Nichtfolgen seiner Einladung durch die Großen 1139 einen ebenso großen kommunikativen Akt dar.

Mit Versammlungen in Bayern und Schwaben befasste sich JÜRGEN DENDORFER (Freiburg). Der ausführlichste Bericht über Versammlungen unter dem bayerischen Herzog im 10. und 11. Jahrhundert findet sich in der um 1038 verfassten Vita Wolfheri, die eingehend erzählt, wie Godehard die Abtswürde in Niederaltaich erhalten soll und den Vorgang über die Zuhilfenahme stilistischer Mittel hinweg hinauszögert. Sie zeigt, dass die bayerischen Versammlungen aus dieser Zeit im Umfang mit königlichen Hoftagen vergleichbar sind. Beratungen fanden in abgestuften Öffentlichkeiten mit großen Runden, Rückzügen zur Besprechung und der erwarteten Wiederkehr statt. Vor der Zeit des sogenannten Investiturstreits konnten die geistlichen und weltlichen Sphären in diesem Kontext ineinander übergehen. Die dürftige Quellenlage mache das Voraussetzen einer großen Gruppe hinter jeder nur wenige Namen nennenden Urkunde verführerisch, jedoch könne nur ein Hoftag vorausgesetzt werden, wenn die Historiographie es erlaube. Zum Ende des sogenannten Investiturstreits begannen sich neue Formen der Beratung ohne den König, aber mit und unter dem Herzog neu auszubilden; generell seien Herzogstage aber immer deutlich seltener greifbar. Diese bayerischen Beobachtungen ließen sich auf Schwaben übertragen, da beide Herzogtümer aus karolingischen regna hervorgegangen waren und in karolingischer Tradition standen.

CHRISTOF PAULUS (München) diskutierte anhand der Überlieferungen Notkers des Stammlers, Hinkmars von Reims und des Carmen de Timone Amt und Würde des Pfalzgrafen im 9. und 10. Jahrhundert. Als missi sind die Pfalzgrafen bei den Karolingern belegt, wobei das missaticum größer war als das comitatum. Die weltliche Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen ist vor dem von den Karolingern als ministerium dei verstandenen Aufgabenbereich zu verstehen. Im Carmen de Timone, das vermutlich den Pfalzgrafen Timo aus dem Umfeld Ludwigs des Deutschen behandelt, prallten nun mit der irdischen und der göttlichen zwei unterschiedliche Rechtserwartungen aufeinander. Es illustriert, was passieren konnte, wenn ein Pfalzgraf die göttliche Richtschnur missachtete. Vor dem Hintergrund der letztendlich göttlichen Gerechtigkeit ist das Carmen als Beispiel für ein Bild derjenigen Eliten zu lesen, die ihre Ämter für ihre eigenen Zwecke zu nutzen verstanden. Bei fehlender Kontrollmöglichkeit durch den König konnte die Verbindung von Pfalzgrafenamt und königlicher auctoritas, die im besten Fall eine durchdringende Verlängerung des königlichen Arms darstellte, zu einer Verselbstständigung der letzteren und pfalzgräflicher Grenzenlosigkeit führen. Jedoch ist die pfalzgräfliche auctoritas in der Provinz unbeleuchtet, da Notker der Stammler etwa aus dem Umfeld des Königshofs berichtete.

CAROLIN ANN TRIEBLER (Aachen) nahm die Strukturen von Herrschaft in den Randgebieten des Reiches in den Blick. Mit einer Betrachtung insbesondere der geopolitischen Gegebenheiten der Kontaktzone der sogenannten Billunger-Mark im 10. und 11. Jahrhundert wendete sie sich gegen das durch die „Markenorganisation“ suggerierte Konzept einer auf den König ausgerichteten hierarchischen Herrschaftsstruktur. Vielmehr habe Herrschaft in diesem Gebiet auf einer aufgrund der häufigen Abwesenheit des Herrschers notwendigen Integration regionaler geistlicher sowie weltlicher Führungseliten wie den Billungern basiert. Das Beziehungsgefüge zwischen diesen politischen Akteuren beschrieb Triebler im Sinne des Forschungskonzepts der „Koopetition“: Die regionalen Machtträger standen zwar untereinander in starker politischer und wirtschaftlicher Konkurrenz, waren jedoch insbesondere durch dynastische Verbindungen auch eng miteinander vernetzt und zu auf Kompromissen basierender Kooperation bereit, um die dominierende Vorherrschaft einer einzelnen Partei zu verhindern und das politische Gleichgewicht in der Kontaktzone zu erhalten.

Mit einer Familie der lokalen Führungseliten befasste sich ebenfalls PHILIPP MERKEL (Bonn), der das Verhältnis zwischen dem Herrscher und der Familie der Ezzonen im 10. und 11. Jahrhundert unter Betrachtung der Gründungsgeschichte des Klosters Brauweiler untersuchte, die trotz der panegyrischen Tendenzen eine enge Beziehung der Gründerfamilie zum Herrscher erkennen lässt. Die Herrschernähe der Ezzonen ist Merkel zufolge zunächst durch die Übertragung des lothringischen Pfalzgrafenamtes 989 an den Stammvater Hermann Pusillus auf einer institutionellen Ebene festzustellen. Eine Partizipation an der Königsherrschaft sei darüber hinaus jedoch durch die Heirat von dessen Sohn Ezzo mit der Königstochter Mathilde auch auf familiärer Ebene erfolgt. Des Weiteren zeigte Merkel durch einen Verweis auf den Konflikt zwischen Heinrich II. und Ezzo die potenziell destabilisierende Wirkung eines Herrscherwechsels auf die Beziehung zwischen König und politischen Machtträgern auf.

BRIGITTE KASTEN (Saarbrücken) analysierte das Verhältnis zwischen Herrscher und königlichen Mittelgewalten im Frankenreich des 9. Jahrhunderts aus einer kommunikationshistorischen Perspektive. Durch die Analyse von Rechtstexten sowie narrativen und theologischen Quellen kam Kasten zu dem Ergebnis, dass die Delegation von Herrschaft an königliche Mittelgewalten eine polarisierende Wirkung auf die involvierten Akteure gehabt hat. Insbesondere der Sohnesgehorsam gegenüber dem Vater als Erzeuger und die Legitimität des Aufbegehrens der Königssöhne als Reaktion auf ein unangemessenes Verhalten des Vaters seien ebenso wie die rechtliche Stellung der königlichen Mittelgewalten als Thronerben kontrovers diskutiert worden. Der Grund für die Verschriftlichung dieser Diskurse ist Kasten zufolge der Status der beteiligten Akteure als „Meinungsmacher“, die auf diese Weise ihre Argumente weiterverbreiten und für andere nutzbar machen konnten.

ÉTIENNE DOUBLIER (Köln) fokussierte die Dynamiken der Interaktion zwischen dem Herrscher und dessen Kooperationspartnern in Oberitalien durch einen vergleichenden Blick auf die Regierungszeiten Heinrichs IV. und Heinrichs V. Im untersuchten Zeitraum seien deutliche Veränderungen zu sehen: Während Heinrich IV. auf ein vielfältiges Beziehungsgeflecht zwischen den regionalen Eliten, die ihren sozialen und politischen Aufstieg durch ihre enge Bindung an den Herrscher vollzogen hatten, zurückgreifen konnte, habe die Gruppe der Unterstützer Heinrichs V. überwiegend aus den ehemaligen Vasallen Mathildes von Canossa bestanden und sei weniger auf das Königtum ausgerichtet gewesen. Heinrich V. sei daher nach ihrem Tod zunächst zu einer Übernahme der Herrschaftsstrukturen der mathildischen Markgrafschaft gezwungen gewesen und gegenüber der Gruppe seiner Unterstützer vor allem als Grundherr aufgetreten.

Im zweiten öffentlichen Abendvortrag führte HANS-WERNER GOETZ (Hamburg) Überlegungen bezüglich des allgemein angenommen Konsenses auf den Reichsversammlungen unter den karolingischen und ottonischen Herrschern aus. Zwar sei dieser auf Reichsversammlungen grundsätzlich angestrebt und häufig auch erreicht worden, doch ließen sich in den historiographischen Quellen dieser Zeit ebenfalls Hinweise auf einen Dissens finden: Deviantes Verhalten der Oppositionellen, wie das Fernbleiben oder eine verfrühte Abreise von der Versammlung, habe nicht nur deren formelle Zustimmung zu den Beschlüssen der Reichsversammlungen verhindert, sondern könne ebenfalls als eine Demonstration des Widerspruchs angesehen werden. Zudem sei Goetz zufolge zu berücksichtigen, dass ein Konsens auf diesen Versammlungen nur unter der begrenzten Anzahl an Teilnehmern zustande kam und mögliche Widerstände außerhalb der Teilnehmer nicht berücksichtigt wurden.

ELKE BRÜGGEN (Bonn) betrachtete die Kommunikation von Herrschaft aus einer literarhistorischen Perspektive. Sie analysierte die Kleiderbeschreibung Didos im Eneasroman Heinrichs von Veldeke (um 1180) sowie die Darstellung Didos und Aeneas᾽ in der „Berliner Bilderhandschrift“ (um 1220/30). Brüggen zufolge wird die herrschaftliche Stellung der karthagischen Königin und deren Wandel sowohl im textuellen als auch im piktographischen Medium dargestellt: Diese in der deutschsprachigen Literatur früheste ausführlichere Kleiderbeschreibung ziele auf die Überwältigung des Rezipienten ab und inszeniere Dido als glanzvolle Herrscherin. Ihre durchnässte Kleidung nach dem vollzogenen Geschlechtsakt mit Aeneas präludiere jedoch auch den durch ihre unerwiderte Liebe verursachten Selbstmord und zugleich den Untergang ihrer Herrschaft. Der Fall Didos sei darüber hinaus auch in der bildlichen Darstellung durch deren mediale Komposition umgesetzt worden.

SEBASTIAN WINKELSTRÄTER (Bonn) stellte die Arbeit des DFG-Projekts „Dynamiken der Macht“ vor, das die literarische Inszenierung von Interaktion und Kommunikation zwischen Herrschaftsträgern und den höfischen Eliten in deutschsprachigen Erzähltexten des 12. und 13. Jahrhunderts untersucht. Winkelsträter analysierte als literarisches Fallbeispiel den Konflikt zwischen König Meljanz und dessen Vasallen Lippaut sowie seiner Tochter Obie im siebten Buch des „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. Ihm zufolge nutze Meljanz die Ambiguität und Doppelkodierung zentraler Begriffe des Lehnswesens, um sie auf den Minnedienst zu übertragen und seine Forderung nach einer Heirat mit Obie zu legitimieren. Durch diese Analogie von Herrschafts- und Minneverhältnis entsteht laut Winkelsträter eine kommunikative Störung. Ritter Gawan greife in diesen Konflikt jedoch als Vermittler aktiv ein, wodurch die Personenkonstellation umgewandelt wird.

Abschließend ergänzte NADINE EL-HUSSEIN (Berlin) das Thema der Tagung mit einer Betrachtung des Herrschaftsdiskurses im almohadischen al-Andalus und Maghreb im 12. Jahrhundert. Diese führte sie exemplarisch an dem proalmohadisch eingestellten Gelehrten Ibn Sāhib al-Salāt und dem almohadenfernen andalusischen Gelehrten Ibn Jubair aus, deren Chronik und Reisebericht das Ideal eines guten Herrschers beschreiben. Während El-Hussein zufolge Ibn Sāhib al-Salāt dieses Ideal in den almohadischen Kalifen als legitime Nachfolger des Begründers der almohadischen Bewegung Ibn Tūmart verwirklicht sah, führe Ibn Jubair den Sultan Salāh ad-Dīn als guten Herrscher an. Dadurch übe er zugleich indirekt Kritik an den almohadischen Kalifen, deren Selbstverständnis als einzige rechtliche und religiöse Autoritäten im Widerspruch zum religiösen System der Scharia stand, was Konflikte mit den intellektuellen Eliten auslöste und eine Diskussion guter Herrschaft umso dringender werden ließ.

In der Abschlussdiskussion griff LINDA DOHMEN (Bonn) ein modernes Beispiel auf: Zwei Tage nach der Bundestagswahl 2021 wurde ein bei einem spontanen Treffen aufgenommenes Gruppenfoto mit Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck auf ihren jeweiligen Instagram-Accounts gepostet. Jede Variante unterschied sich in Zuschnitt und Filter; das Motiv wurde breit in den Medien rezipiert, etwa unter dem Begriff „Königsmacher“. Der Konsens beziehungsweise die Konsensfindung stelle eine der wichtigsten Botschaften des Bildes dar, eben weil die dahinterstehende Kommunikation nicht organisch, sondern orchestriert sei. Damit wurde übergeleitet zu Fragen etwa nach dem Verhältnis von Kompromissfindung und Legitimierung zu Darstellungsformen von Kommunikation.

Bei der Tagung wurden die Fragen nach Arten der Kommunikation von Herrschaft, dem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Führungseliten und Herrscher sowie Partizipationsmöglichkeiten der weltlichen und geistlichen Mittelgewalten an herrscherlicher Macht aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass Kommunikation von Herrschaft auf vielfältige Weise – auch symbolisch als Ort oder Ritual sowie in der Literatur – stattfand und Herrschaft den spezifischen politischen Gegebenheiten und Anforderungen angepasst ausgeübt wurde. Eine Partizipation der Führungseliten an der Herrschaft war grundsätzlich unabhängig vom Geschlecht möglich, dennoch wurde deren Ausmaß stets intensiv diskutiert und variierte stark. Dies gilt ebenfalls für Beziehungs- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Herrscher und Führungseliten, die im betrachteten Untersuchungszeitraum sehr unterschiedliche Formen annahmen.

Konferenzübersicht:

Ulrike Münch (Bonn) / Matthias Becher (Bonn): Begrüßung und Einführung

Charles West (Edinburgh): Revisiting the De Ordine Palatii

Simon Groth (Bonn/Magdeburg): Wer war eigentlich sogenannte „Reichsaristokratie“? Über ein vergessenes Konzept spätkarolingischer Eliten

Caspar Ehlers (Frankfurt am Main): Königinnen und adelige Frauen als Unterstützerinnen der Klosterlandschaft Sachsens in der Karolinger- und Ottonenzeit

Alena Reeb (Magdeburg): Die ottonischen Schwestern Sophia und Adelheid

Stephan Freund (Magdeburg): Versammlungen und Beratungen – Kompromisslösungen mit Signalcharakter in ottonischer Zeit (öffentlicher Abendvortrag)

Ludger Körntgen (Mainz): Die Vorbereitung von Bischofsinvestituren in ottonischer Zeit. Ein Regelfall der Kommunikation zwischen dem König und den geistlichen und weltlichen Eliten

Christoph Mielzarek (Magdeburg): Vom Vorort des Königtums zum Versammlungsort der sächsischen Großen – Quedlinburg von 922 bis 1138

Jürgen Dendorfer (Freiburg): Versammlungen in den Herzogtümern Bayern und Schwaben von der zweiten Hälfte des 10. bis an den Beginn des 12. Jahrhunderts

Christof Paulus (München): Amt und Würde des Pfalzgrafen im 9. und 10. Jahrhundert

Carolin Ann Triebler (Aachen): Herrschaft in Kontaktzonen am Rande des Reiches. Die Rolle der Billunger im Spannungsfeld an und jenseits der Elbe

Philipp Merkel (Bonn): Die Ezzonen und das Reich. Eine Familie des 10. und 11. Jahrhunderts

Brigitte Kasten (Saarbrücken): Debatten über das Mitregieren. Oberherrscher und königliche Mittelgewalten im Frankenreich des 9. Jahrhunderts

Étienne Doublier (Köln): Von der imitatio regis zur imitatio Mathildis. Zur Akzeptanz Heinrichs IV. und Heinrichs V. im regnum Italicum

Hans-Werner Goetz (Hamburg): Konsensuale Herrschaft? Frühmittelalterliche Reichsversammlungen als Indiz des Verhältnisses von Königtum und ‚Mittelgewalten‘ (öffentlicher Abendvortrag)

Elke Brüggen (Bonn): Kleider auf Pergament. Zur Visualität von Herrschaft in mittelalterlicher Wort- und Bildkunst

Sebastian Winkelsträter (Bonn): Projektpräsentation: Dynamiken der Macht. Das Herrschaftshandeln höfischer Eliten im Reflexionsmedium deutschsprachiger Literatur des Mittelalters

Nadine El-Hussein (Berlin): Herrschaft diskutieren. Konzepte guter Herrschaft in den Diskursen muslimischer Gelehrter in al-Andalus (6./12. Jahrhundert)

Linda Dohmen (Bonn): Abschlussdiskussion